10. Persönliche Schlussfolgerungen

Den meisten Leuten, die sich in dieser „charismatischen“ Szene engagieren, geht es meiner Meinung nach nicht um finanzielle Zwecke oder die Lust, andere zu beherrschen. Ausnahmen mag es geben, aber ich glaube, die meisten sind wirklich von den Visionen, den Zielen und dem System überzeugt und möchten es anderen interessierten Menschen weitergeben. 

Ich glaube aber auch, dass Teile der Lehren, die in charismatischen Kreisen gelehrt werden, sich aus biblischen Elementen verselbstständigt oder falsche Schwerpunkte bekommen haben. Hier meine ich zum Beispiel den übersteigerten Wert des Bekennens und Proklamierens, die Ausgestaltung der „geistlichen Kampfführung“, das Weltbild mit Territorien, Dämonen und geistlichen Wolken oder den Kampfwert des „Hohen Lobpreises“. Diese Verschiebungen können bei gläubigen Christen eine Fokussierung von Zeit, Kraft und Aufmerksamkeit auf virtuelle Räume bewirken und sie von Begegnungen mit natürlichen Menschen und der Auseinandersetzung mit ihnen und Problemen in dieser Welt ablenken. 

Manche Christen können durch solche Lehren ermutigt werden, vor anstrengenden Auseinandersetzungen mit anderen Menschen in eine geschützte „Gebetskammer“ auszuweichen und dort zu „kämpfen“. Dies kann zu Stolz und falschen Selbstbildern führen. Durch die Vermittlung des Weltbildes mit "territorialen Dämonen" können aber auch Ängste erzeugt werden. Beides kann die Beziehung zur Außenwelt erschweren und immer mehr in eine innere Isolation führen. 

Durch einen autoritären Leitungsstil, der auch mit geistlicher Manipulation arbeitet (wenn zum Beispiel in Veranstaltungen immer wieder vermittelt wird, wie sehr Gott Unterordnung segnet, und dass das geistliche Wachstum durch Unterordnung geschähe, während jeder kritische Gedanken Rebellion und Widerstand gegen Gott sei), besteht die Gefahr, dass ungefestigte Persönlichkeiten in ihren inneren Konflikten pauschal vorverurteilt, isoliert, allein gelassen und so zusätzlich belastet werden, statt dass ihnen beigestanden wird.

Wenn das Leitungsteam nach außen hin eine Unberührbarkeit signalisiert, indem es sich als „von Gott eingesetzt und gesalbt“ proklamiert, keine Kritik willkommen heißt und offiziell keinen Fehler zugibt, kann dies beim Gegenüber induzieren, dass mögliche Konflikte und Fehler allein bei den Kritisierenden liegen müssen. Ihnen wird dann zwar oft freigestellt, die Gruppe bzw. die Institution, also z.B. die Ortsgemeinde oder die entsprechende Bibelschule, zu verlassen, aber das System selbst bleibt unverändert bestehen. Dies mag teilweise auch eine Folge der Wort-des-Glaubens-Proklamationskultur sein, wo auch Konflikte „wegproklamiert“ werden, da bereits das Aussprechen von unbequemen Themen als ein „in Existenz sprechen“ von Negativem angesehen wird. In einem solchen Fall scheint es meiner Ansicht nach keine andere Möglichkeit zu geben, als sich (mit traurigem Herzen) von einem solchen System abzuwenden und Gott den Rest zu überlassen.