Queer und Christ sein

Dies sind Ausschnitte aus dem Buch von Jeremy Marks (2014): "Echt Schwul - Echt Christ" von Jeremy Marks: "Mein Ringen um Wahrheit - Die geistliche Reise eines Mannes, um die Wahrheit über Homosexualität und gleichgeschlechtliche Partnerschaften herauszufinden." Der vorliegende Text wurde in den Formulierungen leicht überarbeitet, ohne jedoch den Inhalt zu verändern, und die Textpassagen von mir zusammengestellt.

Christus bietet uns an, in seinen Dienst zu treten und befiehlt uns, „einander so zu lieben, wie ich euch geliebt habe. Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh. 13 34-35).

Leider bekommt dieses Gebot Christi oft nur wenig Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, schwulen Christen seelsorgerliche Hilfe anzubieten. Auch heute noch ist die vorherrschende Sicht vieler evangelikaler Leiter, dass Homosexualität die Wahl eines Lebensstils sei, und alles, was es brauche, um dies rückgängig zu machen, sei die Entscheidung, Christus nachzufolgen. Schwule Christen, die mit ihrer Sexualität zurechtkommen und sie akzeptiert haben, werden als solche wahrgenommen, die in ein sündiges Leben zurückgehen, wie Hunde, die zu ihrem Erbrochenen zurückkehren (vgl. 2. Petr. 2.22).

Diese Sichtweise geht davon aus, dass wir im Grunde alle heterosexuelle Menschen seien, uns jedoch in perverse homosexuelle Verhaltensweisen begeben können, ähnlich wie Männer, die gleichgeschlechtliche Aktivitäten entwickeln, wenn sie z.B. im Gefängnis sind oder lange Zeit auf hoher See verbringen, aber zu heterosexuellen Beziehungen zurückkehren, sobald die äußeren Umstände dies ermöglichen. Es wird jedoch nicht in Betracht gezogen, dass einige Menschen einfach schwul geboren wurden oder dass der Wunsch nach einer gleichgeschlechtlichen Beziehung für sie etwas ganz Normales sein könnte. Es scheint für die Mehrheit der heterosexuellen christlichen Leiter geradezu unverständlich, dass gleichgeschlechtliche Intimität eine angeborene Sehnsucht sein könnte, und somit halten sie diese Gefühle für unecht, weil sie sich solche für sich selber nicht vorstellen können.

Viele Gemeindeleiter weisen schwule Christen als „subversive Rebellen“ gegen Gott ab. Wie Unkraut in einem Weizenfeld, gesät von einem Feind, werden schwule Christen ausgerissen und ins Feuer des Endgerichts geworfen werden (vgl. Mt. 13). Mit dieser Denkart fühlen sich einige christliche Leiter ermächtigt, sämtliche Zeugnisse von schwulen Christen „in den Müll zu kippen“ und für ihre Argumente nur sehr ausgewählte Statistiken zu benutzen. Sie sprechen anklagend über die hohe Promiskuität und die Verbreitung von HIV in einer dekadenten Gesellschaft, und verschweigen die Existenz einer Vielzahl von langjährigen und treuen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften.

Schwulen Christen wird in evangelikalen Kreisen oft gesagt, es gäbe für sie keine andere Option, als ledig zu bleiben, es sei denn, sie „veränderten“ sich. Es ist leicht für heterosexuelle verheiratete Pastoren, von homosexuellen Menschen als „biblische Antwort“ ein zölibatäres Leben zu fordern. Sie haben - im Gegensatz zu schwulen Menschen - nie über viele Jahre hinweg diese schmerzhafte Einsamkeit erfahren, verbunden mit der einzigen Perspektive, dass es ein Leben lang so bleiben würde.

Gewöhnlich werden banale Kommentare abgegeben über all die Freiheiten, die es der schwulen Person ermöglichen würden, im Reich Gottes zu dienen, unbelastet von Familienverpflichtungen. Diese Freiheit zum Dienen hätte der schwule Mensch jedoch nur, wenn er niemandem sagen würde, dass er schwul sei, denn sonst würde er keine Möglichkeit bekommen, in seiner Gemeinde zu dienen. Leider würde sich niemand von diesen konservativen christlichen Leitern freuen, wenn ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau gegenseitige Liebe und Partnerschaft mit einem Partner des gleichen Geschlechts findet. Viel eher würde dieser Person ein Ultimatum gestellt, nach dem Motto: „Gib deine Beziehung auf, oder du verlierst die Mitgliedschaft in dieser Kirche.“

Es entsteht der Eindruck, als würden homosexuelle Menschen oft aus Gründen des Selbstschutzes von anderen Christen ausgegrenzt werden, da sonst ihre Gemeinschaft „geistlich infiziert“ würde. Es scheint eine große Angst davor zu bestehen, dass, wenn man schwule Christen in der Gemeinde aufnehmen würde, der Teufel in ihrer Mitte Platz genommen hätte, und daher die ganze Gemeinde das Urteil Gottes fürchten müsse. Als Grund für ihre Haltung homosexuellen Menschen gegenüber wird von solchen Christen immer wieder der biblische Ruf zur „Heiligkeit“ zitiert, ungeachtet dessen, dass Jesus seine Zeit sehr entspannt mit Zöllnern, Prostituierten und Sündern verbrachte.

Wenn jemand eine körperliche oder geistige Behinderung als Chance sieht, darin zu wachsen, Herausforderungen zu überwinden und ein eigenständiges Leben zu führen, dann staunen wir über oft seinen Mut. Wenn jedoch schwule Menschen den Mut aufbringen, ihre Sexualität als Geschenk Gottes anzunehmen und lernen, als schwule Christen zu leben und zu lieben, dann werden sie oft als diejenigen wahrgenommen, die sich auf „den breiten Weg, der zur Verdammnis führt“ (vgl. Mt. 7.13) begeben haben. Was im ersten Fall, bei den behinderten Menschen, als Tugend angenommen wird, wird im zweiten Fall als Laster empfunden. Und was im ersten Fall als mutig angesehen wird, wird im zweiten Fall eher als eine von Satan inspirierte Verschwörung angesehen.

Es ist erstaunlich, wie Hardline-Prediger so viel Zeit darauf verwenden können, um westliche Regierungen anzuprangern, welche gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die legale Anerkennung zugestehen wollen. Diese gleichen Prediger behaupten, traditionelle Familienwerte hoch zu halten und deklarieren, dass solches Verhalten Gottes Gericht über unsere Nationen bringen wird.

In vielen christlichen Kreisen herrscht eine tiefe Angst. Sie gründet darin, dass wenn Menschen mit schwulen Christen in Kontakt kommen und ihnen zuhören, sie selber von ihren Glaubensüberzeugungen abkommen könnten. So halten sie lieber mit fester Überzeugung ein Schutzschild aufrecht gegen die Gefahr, in irgendetwas „verstrickt“ zu werden. Auf diesem Schild steht: „Wir wollen wissen, wo wir stehen! Wir wollen unsere Position mit Überzeugung kundtun. Wir möchten, dass ihr wisst, dass wir die Wahrheit besitzen! Wir sind diejenigen, die im Königreich Gottes sind! Wir müssen diese schwulen Andersdenkenden warnen, dass sie diejenigen sein werden, die das Gericht Gottes über sich ergehen lassen müssen und ausgestoßen werden!“

Wenn wir der Angst gestatten zu herrschen, wenn wir glauben, dass Satan gewinnt und die „schwule Agenda“ ein Teil der teuflischen Strategie ist, dann sind wir leicht versucht, uns an eine oberflächliche Interpretation gewisser Bibeltexte zu klammern. Und dies alles, um eine bestimmte Position aufrecht zu erhalten, anstatt ruhig auf den Geist Gottes zu vertrauen, der uns durch mögliche theologische Minenfelder führen wird.

Ein Vorurteil ist im Grunde eine emotionale Reaktion. Dagegen kommen weder Argumente noch biblische Texte an. Vorurteile sind irrational, und so muss man ihnen - wie auch bei anderen irrationalen Ängsten - entsprechend entgegentreten. Dies kann nur innerhalb von Beziehungen geschehen, wo Vertrauen gewachsen ist. An einem Ort der Sicherheit können wir dem Schreckgespenst der Angst in die Augen schauen und befreit werden. 



Als ich merkte, dass ich in meinen Teenagerjahren gleichgeschlechtliche Anziehung verspürte, dachte ich zwangsläufig, dass mit mir etwas schrecklich falsch sei. In der Angst, ich könnte mich selbst betrügen, wagte ich es nicht, meinem eigenen Urteil oder meiner eigenen Intuition zu vertrauen. Es mangelte mir immer an Vertrauen, und deshalb schaute ich auf andere, von denen ich dachte, sie seien besser als ich, und wollte, dass sie meine Ideen und mein Verständnis formten. Ich wurde in meinem verzweifelten Versuch, „normal“ und akzeptabel für die Gesellschaft und die Kirche zu sein, zum Inbegriff eines Menschen, der anderen gefallen wollte.

Die Verweigerung, die Wahrheit über mich selber anzunehmen, weil ich die Meinungen anderer fürchtete, war ein gutes Rezept zur Selbsttäuschung und brachte mich ins Niemandsland. Ich schenkte meinem eigenen Urteil kein Vertrauen. Mir gut gesinnte Menschen sagten mir, ich solle „die Lüge“ nicht glauben, dass ich schwul sei, und stattdessen „die Wahrheit“ glauben, dass Gott mich heterosexuell gemacht habe. So wurde mein eigenes Verständnis von mir tiefgründig unterwandert und verzerrt, so dass ich in der Gefahr stand, langsam „schizophren“ zu werden.

Es ist schwierig, sein Vertrauen in einen Gott zu setzen, wenn die die Person, die du für Gott hältst, dich als sexuell widernatürlich wahrnimmt und dir die ewige Strafe androht, es sei denn, du schaffst es, dir den Glauben an Befreiung einzureden. Mit der Zeit merkten wir jedoch, dass dieses Gottesbild von Menschen gemacht wurde und lernten die bittere Wahrheit aus Sprüche 13.12a kennen: „Hoffnung, die sich verzögert, ängstigt das Herz“.

Die Schuldgefühle im Zusammenhang mit dem Wunsch, einen gleichgeschlechtlichen Partner zu haben, blieben jedoch bestehen, denn wir waren von Stimmen umgeben, die uns sagten, es sei Sünde. Aus diesem Grund sind mir schon so viele Menschen begegnet, die tief desillusioniert, deprimiert und hoffnungslos waren. Einige wurden sogar arbeitsunfähig und konnten kein normales Leben mehr führen. Dies sind viele Hinweise darauf, um zu erkennen, dass etwas wirklich schief läuft. Säkulare Seelsorger haben keine Schwierigkeiten, diesem Sachverhalt zuzustimmen, aber viele Kirchenleiter verwerfen diese Ansichten mit der Begründung, diese Seelsorger seien ja keine Christen. Ich als Pastor jedoch, der ich Menschen helfen wollte, ihre Hoffnung auf Christus zu setzen, empfand diese Situation als herzzerreißend. Ich lernte mehr und mehr Menschen kennen, die suizidgefährdet waren, und andere, die ihren Glauben verloren hatten.

Im Gegensatz dazu sah ich, dass schwule Christen, die die Möglichkeit einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft ergriffen hatten, damit glücklich waren. Ich sah auch, dass es böswillig und diffamierend war, ihre Sehnsucht nach Partnerschaft nur als lüsternes Verlangen nach „abartigem Sex“ zu interpretieren. Erotische Intimität zwischen schwulen Menschen pauschal so darzustellen, bedeutet, gleichgeschlechtliche Beziehungen in ein völlig falsches Licht zu stellen.

Evangelikale Christen sind heutzutage dafür berüchtigt, schwule und lesbische Mitglieder auszuschließen, und nur wenige sind dazu bereit, auch nur annähernd in Betracht zu ziehen, dass einige von ihnen vielleicht so geboren wurden und dass es deshalb natürlich ist, dass sich diese Menschen einen Partner des gleichen Geschlechts suchen.

Niemand sucht es sich aus, schwul zu sein. Wenn wir aufwachsen, entdecken wir es als einen Teil davon, was wir sind. Hätten wir eine Wahl, würden wir bestimmt alle die Heterosexualität wähle. Nur schon als heterosexuell wahrgenommen zu werden, macht das Leben einfacher und die Integration in die Kirche und in die Gesellschaft viel unproblematischer.

Es gibt genauso viele schwule Menschen in der Kirche und auch im unmittelbaren Umfeld der Kirche, wie in jedem anderen Teil der Gesellschaft auch. Viele, vielleicht die meisten, erachten es als notwendig, ihre wahre Identität zu verheimlichen. Viele leben mit innerer Scham oder innerem Selbsthass. Das ist ein Skandal. Schwule Menschen treffen keine Wahl, schwul zu sein, sowie Menschen ihr Geschlecht, ihre Hautfarbe oder ihre Links- oder Rechtshändigkeit auch nicht auswählen. Eine Gemeinschaft, die von sich behauptet, den Gott der Gnade anzubeten, lädt ihnen so oft Schuld und Scham auf.

Steve Shaw beschrieb mit bewegenden Worten die inneren Qualen eines Christen, der herausfindet, dass er schwul ist: „Zu entdecken, dass ich schwul war, war wie zu entdecken, dass ich genau die Person war, wovor mich meine Mutter immer gewarnt hatte. Der Druck von sozialen, moralischen und religiösen Tabus gegen schwule Sexualität ist so immens, dass es zu einem schrecklichen Schattendasein führen kann.“ Dies ist die Erfahrung, die die Mehrheit der schwulen Christen, die ich kenne, gemacht hat.

Früher glaubte ich, Gott verbiete homosexuelle Beziehungen. Damals argumentierte ich, dass unsere moralische Verantwortung darin liege, dem angeblichen biblischen Verbot gehorsam gegenüber zu sein. Als ich erkannte, welch tiefe negative Wirkung die Anwendung dieses Verbots gegenüber denjenigen hatte, die meine seelsorgerliche Unterstützung aufsuchten, war ich gezwungen, das zu tun, was Jesus so oft auch tat - ich gab dem Erbarmen die ausschlaggebende Stimme.

Mir wurde oft gesagt, dass mein „pastorales Herz des Erbarmens“ mich blind gemacht hat, den biblischen Ruf der Heiligkeit zu erkennen. Wenn dem so ist, so ziehe ich diese Art von Blindheit, unter der ich leiden mag, der kurzsichtigen und einengenden Sicht derer vor, die Heiligkeit nach ihren eigenen Maßstäben verfolgen. Am Tag des Gerichts ziehe ich es vor, zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil ich teilweise zu viel Erbarmen mit anderen Menschen hatte. Die Art der Heiligkeit, die diese Prediger predigen, klingt furchterregend, unmenschlich und nach meinem Verständnis völlig widersprüchlich zum Dienst Jesu, wie er in den Evangelien beschrieben ist.

Es gibt gute Gründe, theologische Überzeugungen über Bord zu werfen, wenn die Konsequenzen des Beibehaltens dieser Überzeugungen für die Betroffenen zu unbarmherzig und zu folgenschwer sind.

Gegen diejenigen, die stets das Gericht Gottes unterstreichen, finden wir Trost in den Worten „Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht“ (s. Jak. 2.13). Die frohe Botschaft ist, dass Barmherzigkeit und Erbarmen den Dienst Jesu charakterisieren. Seine härteste Kritik richtete sich gegen die, die dies nicht praktizierten: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verzehntet die Minze und den Dill und den Kümmel und lässt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseite: das Recht und die Barmherzigkeit und den Glauben; diese hättet ihr tun und jene nicht lassen sollen“ (Mt. 23.23). Und: „Wehe aber euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler! Denn ihr verschließt das Reich der Himmel vor den Menschen; denn ihr geht nicht hinein, und die, die hineingehen wollen, lasst ihr auch nicht hineingehen“ (Mt. 23.13).

Offensichtlich empfinden wir alle die Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse als berauschend. Wir alle sind versucht, gierig davon zu essen. Vielleicht ist es deshalb, weil die Frucht uns so bereitwillig eine vorübergehende Macht gibt, Recht zu haben, indem wir andere verurteilen, von denen wir denken, dass sie nach unserem Bibelverständnis falsch liegen, und wir uns dadurch leicht der Illusion geistlicher Autorität hingeben. Dies ist ein klares Schwarz-Weiß-Denken. Im Gegensatz dazu ermächtigt uns der Heilige Geist, Versöhnung mit Gott und unseren Mitmenschen zu suchen. Dies erfordert jedoch, die Illusion der persönlichen Macht loszulassen; eine Illusion, die wir gern am Leben erhalten, wenn wir oberflächliche Urteile fällen. Wir fühlen uns nicht gerne schwach. Paulus lehrt uns aber, dass Gott gerade in unserer Schwachheit stark sein will (2. Kor. 12.9).

Viel von unserem Bibelverständnis wird von Gelehrten und Pastoren unterrichtet, von denen wir uns gern die Denkarbeit abnehmen lassen, wenn wir nicht aufpassen. Es ist immer verlockend, „geistliche Leiter“ Gott für uns suchen zu lassen. Wenn wir uns dann angewöhnt haben, die Lehre nach einem bestimmten Muster auszulegen, dann verstehen wir diese Muster immer gleich und versuchen, alles dort einzuordnen. Wichtig ist, dies zu erkennen und eine demütige Haltung einzunehmen hinsichtlich unserer Fähigkeit, Gottes Gedanken zu verstehen.

Viele von uns sehnen sich nach Gewissheit. Wir klammern uns an Menschen, die Vertrauen und Gewissheit ausstrahlen. Solche Menschen erwecken den Anschein, sie wüssten, wohin sie gehen, und wir verspüren durch sie eine Art Sicherheit. Gott aber ruft uns auf, ein Glaubensleben zu führen. Im neuen Bund geht es darum, dass Gott sein Gesetz in unser Herz schreibt und in unser Denken legen will, auf dass wir seinen Willen tun wollen (vgl. Heb. 8 6-13). Mehr noch, der neue Bund ist allen Menschen versprochen und macht den alten Bund überflüssig. Um jedoch so zu leben, muss unser Fokus auf Christus ausgerichtet sein, auf unsere Beziehung mit ihm und mit anderen Menschen. Dies bedingt, dass wir ein Leben im Glauben leben, anstatt auf unsere eigenen Anstrengungen und unsere eigene Stärke zu vertrauen. Ein Glaubensleben lässt sich nicht auf Prinzipien festlegen, die von Menschen gemacht sind.

Von der harten Lektion über all die Jahre hindurch habe ich gelernt, dass Gewissheit im krassen Gegensatz zum Glauben steht. Wenn man absolut überzeugt ist von dem, was man für richtig oder falsch hält, dann wird der Glaube überflüssig und man sieht die Notwendigkeit einer lebendigen Gottesbeziehung nicht mehr. Religiöse Überzeugung wird dann zu einer heimtückischen Art von Götzendienst. Die einzige Gewissheit, an die wir uns klammern können, ist die Sicherheit von Gottes Gnade, seine Güte und Freundlichkeit gegenüber allen, die sich ihm zuwenden, sowie seine Gegenwart unter uns.

Wenn wir auf andere blicken, um unsere Ideen und unser Verständnis zu formen, dann wird es noch schwieriger zu unterscheiden, was echt ist und was bloß menschliche Ideen sind, wie die Dinge sein sollten. So funktioniert Gehirnwäsche. Wenn wir im Glauben reifen, will Gott nicht, dass wir allzu lange allzu abhängig von der Lehre anderer sind, wie gelehrt diese Personen auch sein mögen, damit wir nicht unseren Glauben auf Menschen ausrichten, anstatt auf Gott.

Hin und wieder übernehmen wir alle eine Sichtweise, die uns manchmal mit Menschen in Konflikt bringt, die mache Thematiken anders beurteilen. Wir sollten aber nie vergessen, dass, wenn wir eine Haltung der Souveränität anstreben, wir nicht nur das uns von Christus gegebene Kleid der Demut gegen das Kleid des Stolzes eintauschen (vgl. 1. Pet. 5.5), sondern auch die Basis unseres neuen Bundes mit Christus in Frage stellen.

Wir sind dazu berufen, uns gegenseitig zu dienen, nicht zu verurteilen. Wenn also ein Mitchrist mit einer Lehre, die wir als sakrosankt ansehen, nicht übereinstimmt, müssen wir auf der Hut sein, nicht der subtilen Verführung zu erliegen, darauf zu bestehen, dass unsere eigene Interpretation richtig ist. Wenn wir abschätzig sind, respektieren wir die Heiligkeit der Gottesbeziehung des anderen nicht. Wir alle müssen uns vor der Versuchung in Acht nehmen, diejenigen nicht auszugrenzen, die eine andere Perspektive als die unsrige vertreten. Dies gilt für schwule Christen genauso. Sie können in die gleiche Falle treten, wenn sie ihre „Gegner“ ausgrenzen, ihnen das Etikett der Traditionalisten anhängen und sie als altmodisch brandmarken.

[Ende]


 

Gottes Sicht zur Homosexualität?

 

Oft habe ich - leider auch von manchen Christen - gehört, dass Homosexualität Gott "ein Gräuel" sei, weil es so in der Bibel stände. 

Aber stimmt das denn? 

Je mehr ich nämlich in der Bibel  recherchiere, desto mehr Fragen habe ich dazu, z.B.:

 

  • Warum gibt es in der Bibel nur so wenige Stellen zu diesem Thema?

  • Warum werden an diesen wenigen Stellen nur ganz spezielle homosexuelle Handlungen erwähnt [1], nicht aber z.B. Beziehungen oder Partnerschaften?

  • Kann man aus einer positiven Darstellung der heterosexuellen Ehe in der Bibel schließen, dass Gott alle anderen Formen von Partnerschaften ablehnt, auch wenn sie von Liebe und Treue geprägt sind?

  • Warum greift Jesus dieses Thema niemals auf?

  • Warum wird in der ganzen Bibel niemals lesbische Liebe erwähnt? [2]


Ist es nicht so…

  • dass das jüdische Gesetz, woher auch die Stelle mit den Gräueln stammt, für Christen nicht mehr der Maßstab ist, da Jesus "es vollbracht hat"? [3]

  • dass dieses Gesetz sowieso nur unvollkommen und bruchstückhaft den Willen Gottes gezeigt hat und auch nicht die Kraft gab, ihn zu tun?

  • dass es Christen in der Beziehung zu Gott nicht darum gehen sollte, Gesetzen zu folgen, sondern dem Willen Gottes, der sich vollkommen im „neuen Gebot“ ausdrückt, das Jesus seinen Jüngern gab: Liebe.

Johannes 13,34+35: Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.

Johannes 15,12: Dies ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe. 

Römer 13,8-10: Seid niemand irgendetwas schuldig, als nur einander zu lieben! Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt. Denn das: "Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren", und wenn es ein anderes Gebot gibt, ist in diesem Wort zusammengefasst: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.

Galater 5,6: Denn in Christus Jesus hat weder Beschneidung noch Unbeschnittensein irgendeine Kraft, sondern der durch die Liebe wirksame Glaube.

Galater 5,13+14: Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder. Nun gebraucht nicht die Freiheit als Anlass für das Fleisch, sondern dient einander durch die Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, in dem: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

 

Leider findet auch in manchen christlichen Gemeinden eine Ausgrenzung derer statt, die nicht „christlich" leben. Unter "christlich leben" wird dann eine Moral verstanden, die mit irgendwelchen ausgewählten Gesetzen des Alten Testaments, einigen Passagen aus dem Neuen Testament und je nach Prägung unterschiedlichen Traditionen begründet wird. Diese Moral kann deshalb je nach Zusammensetzung der Bestandteile sehr verschieden ausfallen.

Ein Beispiel ist die Ausgrenzung von Christen mit homosexueller Orientierung. Es gibt Christen, die denken: „Einen Menschen, der Gott ein Gräuel ist, dürfen wir in unserer Gemeinde nicht tolerieren, weil wir uns sonst mitschuldig machen würden"[4]. So werden viele homosexuell (oder anders queer) empfindende Christen, die an Jesus und sein Werk am Kreuz glauben, im Namen Gottes verletzt und ausgegrenzt. Einen Bericht kann man hier lesen.

Das einzige Gesetz, das für Christen gilt, ist das Gesetz der Liebe. Und auch dieses Gesetz können wir genau genommen nicht von uns heraus erfüllen. [5] 

Würde es uns nicht allen besser gehen, wenn wir uns dies eingestehen würden und uns dann zusammen auf den Weg machen würden, ohne uns gegenseitig auszugrenzen und zu verurteilen?

[Link mit vielen Bibelstellen zu diesem Thema]

[Link zum Thema David und Jonathan]

 

[1]   Diese in der Bibel erwähnten homosexuellen Handlungen geschehen ausschließlich im Zusammenhang mit bizarren Fremdkulten (vgl. 3. Mose 18.3, 3. Mose 20.23), verweigerter Gastfreundschaft verbunden mit demütigender Gewalt (1. Mose 19.5 ff., Ri. 19.22 ff.), Promiskuität und Prostitution zwischen Männern oder mit Jungen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten bei ungleichen Machtverhältnissen (vgl. 1. Kor. 6.9, 1. Tim. 1.10) oder als rein triebhafte Handlungsweise in Folge von bewusster Abwendung von Gott (vgl. Röm. 1 26-27).

[2]   Aus der Stelle in Röm. 1.26, wo Frauen in Bezug auf „widernatürlichem Verkehr“ erwähnt werden, kann nicht auf lesbische Liebe geschlossen werden. Es können auch allgemein sexuelle Handlungen gemeint sein, die nicht der Fortpflanzung dienen, z.B. Analverkehr, oder auch Zoophilie.

[3]  vgl. Mt. 5.17, Joh. 19.30, Gal. 2.16, 2.21, 3.10-13, 3.21-22, 5.4

[4]  Dabei wird nicht beachtet, dass es in den entsprechenden Kapiteln 18 - 20 im 3. Buch Mose um eine Aufzählung von okkulten und inzestuösen Praktiken ging, die in Ägypten und/oder Kanaan gängige Lebensweisen und Ordnungen waren, von denen sich das Volk Israel als Gottes Volk abgrenzen sollte.

Im Neuen Testament spricht Jesus einmal von dem, was Gott ein Gräuel ist: Lk 16,15 ... denn was unter den Menschen hoch ist, ist ein Gräuel vor Gott.

[5]  vgl. Joh. 15.5